· 

Ein hoher Preis

Screenshot der Spiegel-online-Webseite mit den Recherchen über den Betrug im eigenen Haus
Screenshot der Spiegel-online-Webseite mit den Recherchen über den Betrug im eigenen Haus

Er war ein Star - und er fiel tief. Seit gut einer Woche gibt es den Fall Relotius. Ein Einzelfall, nach allem, was man bis jetzt weiß. Gleichwohl erschüttert der journalistische Betrugsfall beim Spiegel weit mehr als nur das Haus an der Ericusspitze 1 in Hamburg. Er wirft ein schlechtes Licht auf alle, die sich die Berufsbezeichnung mit ihm teilen.

Mich macht das alles fassungslos. Ich arbeite jetzt seit 28 Jahren journalistisch, davon 20 Jahre als Angestellter einer Tageszeitung. Nicht vergleichbar mit einem mit allen Freiheiten ausgestatteten Reporter wie Relotius. Ich arbeite schon gar nicht im Rampenlicht der oft recht selbstverliebten Branche, so wie der junge Kollege. Der war mir vor seiner Enttarnung allerdings auch kein Begriff – ich bin kein regelmäßiger Spiegel-Leser.

Nun gut, vielleicht bin ich naiv oder blöd, aber ich habe noch nie überlegt, eine Geschichte, die ich recherchiert habe, mit erfundenen Protagonisten, Zitaten oder Details aufzuhübschen. Klar, ich habe mich schon oft geärgert, dass eine Geschichte am Ende nicht so gut wurde, wie sie sich anfangs zu entwickeln schien. Dass Gesprächspartner nicht so ergiebig waren wie erhofft. Dass sie nicht das ausgesprochen haben, was so gut gepasst hätte. Für mich war klar: Dann muss ich weiter recherchieren oder es so akzeptieren. „Sagen, was ist“ eben - wie im geflügelten Wort des Spiegel-Gründers Rudolf Augstein.

Das muss auch so sein. Denn ohne Glaubwürdigkeit und das Vertrauen seiner Quellen und der Leser, Zuhörer oder Zuschauer ist ein Journalist erledigt. Für Claas Relotius war es offenbar nicht so ein Problem, seinen Geschichten den richtigen Dreh zu verpassen – auch wenn es vor Ort ganz anders aussah. Er ist verdammt lange damit durchgekommen und hat viele mit hervorragenden Journalisten besetzte Jurys zum Narren gehalten. Und er hat damit einen weit größeren Schaden angerichtet als nur seine eigene Reporter-Karriere zu zerstören.

Natürlich, ich arbeite ganz anders als der Spiegel-Mann, der aus dem Ausland berichtete und offensichtlich stark darauf gesetzt hat, dass ihm schon nicht so genau auf die Finger geschaut werden würde – auch nicht von denen, über die er schrieb. Wenn ich mir aus unserem Verbreitungsgebiet etwas aus den Fingern saugen würde, stünde der Betroffene am nächsten Tag bei uns im Verlagshaus. Dennoch. Es ist absurd, wenn ein Journalist glaubt, er könne und dürfe sich seine Geschichte zurechtbiegen, wie er will, damit sie „besser“ klingt. Das erschüttert mich.

 Ich habe auch noch nie ein Thema gewählt oder einen Text geschrieben, um mich damit für einen Journalistenpreis bewerben zu können. Ab und an habe ich mal etwas eingereicht, was ich im aktuellen Jahr veröffentlicht habe und von dem ich der Meinung war, dass es ganz gut gelungen war. Aber viel öfter passten meine Geschichten nicht zu den vorgegebenen Kategorien. Ich war mir dabei immer im Klaren darüber, dass ich wohl ohnehin nicht zu den Preisträgern gehören würde. So war es auch. Gewonnen habe ich nie. Sehr wahrscheinlich waren immer bessere Geschichten dabei. Hinter mir steht kein Verlag, der sich eine große Dokumentationsabteilung leistet, die zuarbeitet, Fakten prüft. Der viel Geld ausgibt für eine Recherche, von der nicht sicher ist, dass sie auch etwas einbringt. Das wird in ähnlichen Häusern nicht viel anders sein. Andere Kollegen, vielleicht auch Relotius, haben dagegen offenbar gezielt auch Preise im Blick gehabt (auch haben sollen?), wenn nicht gar darauf zu geschrieben.

Das lerne ich jetzt, einigermaßen verblüfft. Denn auch hier bin ich doch nicht meinem Ego verpflichtet, sondern meinem Arbeitgeber und damit meiner Zielgruppe. Das sind die Leser meiner Zeitung - nicht Jurys, die später irgendwelche Preise zu verteilen haben.

Weil es für mich nicht in Frage käme, eine Recherche mit Erfundenem in eine andere, aufregendere Richtung zu lenken, trifft mich auch dieser Skandal des preisgekrönten brancheninternen Jungstars ziemlich unvorbereitet - aber mit voller Wucht. Denn ich weiß, was jetzt folgt. Es bleibt nicht nur an Claas Relotius hängen oder am Spiegel, der abgesehen von der umfangreichen Offenlegung ja eine kaum bessere Figur in der Affäre macht.

Der Verdacht gegen den Spiegel-Reporter und gegen die, die in seinem Haus auf ihn reinfielen, wird sich auf den gesamten Journalismus auswirken, auf eine Branche, die so auch schon genug Probleme hätte. Schon kursiert der Hashtag #Relotius-Presse, der die von der „Lügen-“ oder „Lückenpresse“ in nächster Zeit ergänzen wird. Trumps Botschafter, die AfD und ihre Fans frohlocken und lassen keine Gelegenheit aus, genüsslich von Relotius und dem Spiegel auf alle zu schließen. Damit müssen wir als Journalisten umgehen, wie mit vielen Feindseligkeiten aus bestimmten Ecken des politischen Spektrums. Wir müssen deshalb unsere Arbeit noch besser erklären, Fehler vermeiden und die Wege transparent machen, wie wir zu unseren Informationen kommen und wie wir sie verarbeiten.

Ob man uns das glaubt, hängt sehr stark von der persönlichen Einstellung des einzelnen zu unserer Arbeit ab. Es gibt leider schon sehr viele, die alles in Frage stellen, was wir tun. Die werden sich bestätigt fühlen, der Fall Relotius und möglicherweise weitere noch in diesem Zusammenhang auftauchende ähnlich arbeitende Kollegen werfen uns in diesem Bemühen deutlich zurück. Umso mehr kommt es darauf an, sauber und fehlerlos zu arbeiten, nachvollziehbar zu argumentieren und sich auf der anderen Seite auch nicht von außen kirre machen zu lassen.

Warum auch nicht. Es ist nichts Schlechtes an unserem Beruf, solange man ihn ehrlich und gewissenhaft ausübt. Deshalb gibt es auch keinen Grund, sich kleiner zu machen, als man ist. Und zu allerletzt bedarf man eines Journalistenpreises als besondere Qualifikation. „Sagen, was ist“ - das ist noch immer die beste Basis.