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Eine Welt namens Heimat

Sechs Jahre, siebenzweidrittel Platten – ergibt ein Wohlfühl-Universum voll tiefer Melancholie, lyrischem Übermut und poppigen Temperamentsausbrüchen. Auch auf dem am 8. September erscheinenden neuen Werk schraubt der Kölner Songschmied Martin Bechler mit Jannis Bentler (Schlag- und anderes Perkussionszeug) und Elin Bell (Tasten, Gesang) weiter an seiner herzlich gebrochenen, eigenwilligen Paradiesvogelmusikwelt. Und diese Welt heißt: Fortuna Ehrenfeld.

Ok, ich bin Fan, soviel Transparenz muss sein. Man darf mir dennoch glauben: Dieses Album – „Glitzerschwein“ – ist eine Hoffnungstankstelle für Menschen, die nicht aufhören können, an das Gute zu glauben, obwohl sie die Realität kennen.

Die furchtlos eintauchen in einen See voller Verse zwischen Albernheiten und mehrdeutigem Tiefsinn wie diesem: „Und die Zeit fliegt um die Erde / in der Logik des Danebens / Die Welt ist eine Google / und wir sind ihr Verein“.

Es ist für Menschen, die wissen, was man fühlt, wenn einer singt: „Wir gehen jetzt schaukeln und dann schauen wir uns mal an / wie man aus dem, was Schrott ist, Neues bauen kann. Yo!“

Der rheinisch-reimische Sprachkombinierer Martin Bechler schleift Seelenschmeichler, für die es keinen tieferen Sinn braucht. Oder einen, den man sich selbst herausschnitzen kann: „Aus allen Kilometern fallen – one by one / die Seemannsherzen tiefer noch ins Blau / Zu deinen Stunden klar am Morgen / wird die Welt wieder verheilen und du wirst unbesiegbar sein.“

Oder so: „Multiply by zero / Alles gegen Null / Müd vom Eskalieren / vom Krieg die Schnauze voll“ – wer Zeilen wie diese gehört hat, wird sie so schnell nicht wieder los.

Wie selbstverständlich webt Bechler immer wieder englische Sätze und Fetzen in seine Lyrik, spielt mit Sounds und Loops und Effekten. Resozialisiert Schimpfwörter – durch achtsamen Gebrauch. Die „Queen of f*cking everything“ ist meine Zeugin, ich schwör‘.

Berührungsängste? Gibt es nicht. Chanson datet Kirchenlied trifft Poetry-Slam. Leichte NDW- und Punk-Vibes ebnen den Weg für eine eigene Schublade voller Indie-Pop, der nicht unabsichtlich immer mal wieder an Kap Kitsch vorbeisegelt oder im Shalala strandet.

Auch die Discokugel auf dem Cover täuscht nicht. Den Rahmen der Platte bildet zwar das so sorg- wie sparsam Instrumentierte, das Balladeske, das unverbrüchlich Nachdenkliche, das Zerbrechliche.

Genauso unverzichtbar sind bei Fortuna-Ehrenfeld allerdings bewegungsanimierende Wachmacher und gepflegte musikalische Zwischenausraster. Auf früheren Platten hieß das „Hör endlich auf zu jammern – danke!“ oder „Hundeherz“. Diesmal ist es unter anderem eine düstere Schlagzeug-Synthesizer-Hymne mit dem Titel „We need to go Maraca“, die irgendwann wie selbstverständlich in einem entspannten Bossa Nova happy-endet.

Wer Zitate liebt, kommt auf der neuen Platte ebenfalls auf seine Kosten. Grüße an Kraftwerk („Autobahn / Autobahn heißt Auto fahrn / immer geradeaus“), treibende Sleaford-Mods-Beats, Blueswriting im Stil von Tom Waits, alles irgendwie dabei, nichts wird verleugnet. Warum auch?

Genauso wenig wie der Rückgriff auf Figuren und Begriffe aus früheren Fortuna-Songs. So gibt es den Albumtitel „Glitzerschwein“ als Lied schon auf dem 2017er Album „Hey Sexy“, es ist bis heute ein Klassiker auf Konzerten. Auch die „Reisegruppe Seltsam“ und manch anderes Schiffbrüchiges wird erneut an den Fortuna-Strand gespült. Musik ist eine Heimat, Wiederholung tut ihr gut.

Mit „Glitzerschwein“ startet Martin Bechler auch personell in die nächste Phase seiner kleinen, inzwischen bis auf ihn selbst einmal runderneuerten Band. Nach dem Ausstieg von Jenny Thiele hat sich auch die Rolle der weiblichen Stimme in der Band etwas geändert. Diese, inzwischen solo unterwegs, war Duett-Partnerin mit veritablen Rampensau-Fähigkeiten.

Elin Bell braucht sich stimmlich hinter ihrer Vorgängerin keineswegs zu verstecken, doch sie füllt eine etwas andere Rolle aus. Sie ist eher Rückendeckung und Begleiterin als flippige Pingpong-Partnerin. Dass der Unterschied nicht so groß ausfällt, wie vielleicht zu befürchten war, liegt auch daran, dass Martin Bechler uneitel genug ist, seine Musik an die Band anzupassen und nicht umgekehrt.

Wie dem auch sei: Wo Fortuna Ehrenfeld erklingt, muss man keine Grätsche von hinten fürchten, höchstens eine Umarmung von vorne und eine fröhliche Ladung aus der Konfettikanone. Und dann geht’s weiter auf der Leiter, denn: „Keiner kommt hier lebend oder unrasiert davon.“

Fortuna Ehrenfeld: „Glitzerschwein“ (Tonproduktion Records)