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Grenzenlose fette Empathie

Das Universum ist die Gesamtheit von Raum, Zeit sowie aller Materie und Energie darin. Das Universum ist alles, was es gibt – plus das, was man nicht sehen kann, von dem man sich aber vorstellen kann, dass es das gibt. Und das macht ein Universum wieder zu einem sehr individuellen Gedankengebilde nach mehr oder weniger realem Vorbild.


Wer sein Werk „Universum“ nennt, kann sich also eigentlich alles erlauben. Schließlich ist dort alles vorhanden, nur vielleicht noch nicht in der richtigen Kombination. Doch wer ist heute unerschrocken genug, ein 31 Stücke starkes Konzeptalbum zu einem so grenzenlos-unfassbaren Thema aufzulegen?

 

Martin Bechler lässt sich von solchen Gedanken nicht aufhalten. Der Träger des Deutschen Kleinkunstpreises hat mit Fortuna Ehrenfeld kurzerhand sein Universum um die Finger gewickelt und in drei Vinyls verpresst. Und er geht mit der Unvollkommenheit des Universums so um, wie es sein muss: mit Herz, ohne Gejammer und mit der positiven Einstellung des „Keine Ahnung, ob das geht. Wir machen es einfach!“.

Jetzt bleib mal locker, Universum / ich bin ja jetzt dabei /
du musst auch gar nicht denken, es ginge hier nur um dich /
Komm mal aus den Puschen, Universum / und finde deinen Kern /
mit einfach nur so da sein, ist es heut nicht mehr getan…“

 

aus: „Universum Prolog“

Fortuna-Ehrenfeld-Fans wissen: Man kann sich darauf verlassen, dass im Fortuniversum musikalisch wie textlich Pole aufeinander zu geschoben werden, wo sie wahlweise krachend kollidieren oder karamellweich verschmelzen.

 

Und so unterstützte die Fanbasis die Crowdfunding-Aktion der Band für dieses Projekt reichlich. Es kam in kurzer Zeit genug Geld zusammen, um die 31 Lieder des Universums am Stück im Studio in Haldern mit all jenen aufzunehmen, die Bechler gern um sich schart – und um sie dann auch noch so zu bezahlen, wie es sich für professionelle Musikerinnen und Musiker, Techniker und andere Soundkönner gehört. Das ist zweifellos nicht nur anständig, es sollte selbstverständlich überall so sein. Und natürlich tut es der Musik gut.

 

Man hört auf Universum nicht nur die Qualität dieser Unternehmung heraus, sondern auch, wie sich die musikalischen Gäste, etwa die stimmgewaltigen Zucchini Sistaz, in die achtsam aufgebaute, schräge Welt des Martin Bechler einfinden und in ihr wohlfühlen.


Und so kann dieser den Molekülen, freien Radikalen und musikalischen Ideen seines Universums ihren notwendigen Raum, ihren Auslauf und ihren Nachhall lassen. Dieses Fortunauten-Universum ist von allem etwas: einzigartig und abgepaust, unfertig und ausgefeilt, fein ziseliert und grob hingekritzelt, grenzverletzend und linientreu, albern und ernst, verträumt und ein unvermittelter Temperamentsausbruch. Und das eine ginge nicht ohne das andere – zumindest wäre es dann nicht mehr das, wofür Fortuna Ehrenfeld seit guten acht Jahren steht.


Es herrscht wohldosiert-verrücktes Ehrenfelder Allerlei. Ein wilder Stilmix mit übermütig tanzbaren Popwirbeln und elektrisierenden Discobeats, die die Kopfhaut kitzeln. Geerdeter Talking Blues trifft auf ein bisschen Popshanty, auf eine Prise Gospel, auf Countryrock’n’Fun oder ein zutiefst weltliches Kirchenlied. Schlagerhafte Albernheiten, skurrile Sprachbilder, Anleihen aus Klassik, Musical, Kinderlied: Alles fließt, musikalische Genregrenzen gibt es in diesem Universum nicht.

Fremde Wesen tauchen mit jazziger Gelassenheit aus dem Meer auf, Aliens sammeln uns ein – mit der Lasergun vom Aldi, mit ordentlich Beats per Minute und „grenzenloser fetter Empathie“. Denn zum Glück ist das Universum von Fortuna Ehrenfeld – allen Widrigkeiten des Lebens zum Trotz – unerschütterlich positiv und auch nicht zu erschüttern.

 

Martin Bechler ist Meister reduzierter Songs voller angedeuteter Herzensbotschaften, die sich jeder für seine Zwecke zurechtbiegen kann. Er schreibt Lieder, die sich tief ins Herz bohren, um zu berühren, zu trösten, aufzumuntern. Wie „Ich seh‘ dich überall“, ein seelisches Wärmepflaster für alle, die einen Herzmenschen vermissen, von dem „da vorne am Altar“ jemand sagt, „er wäre gar nicht mehr da“. Oder das bittersüße „Tulpen aus Amsterdam“, wo es heißt: „Vermissen / Ich will vermissen / ich will nicht wissen / wissen, wie lang“.

„Und dann fangen wir wieder albern an zu tanzen /
wie die ausgespuckten Funken im Kamin / Alle Eitelkeiten, alle Pomeranzen /
gehen dahin, sie gehen einfach nur dahin“
aus: „Wie die ausgespuckten Funken im Kamin“

Es wird auch ausgiebig zitiert und vereinnahmt. So, wie im echten Universum nichts verschwendet wird, sondern Altes und Verbrauchtes zu Neuem wird – ohne dass dafür jeden Tag das Rad neu erfunden werden muss.
Waits, Zappa, Lennon – viele prägende Gestalten blitzen auf „Universum“ auf.

Am klarsten geschieht das aber bei einer prägenden Band der frühen 80er Jahre. In „Hol die Polizei“ und „Der Tourist“ werfen Fortuna Ehrenfeld so beherzt mit „The Police“-Zaunpfählen, dass Sting, Andy Summers und Stewart Copeland kaum ausweichen können dürften.

 

Doch wenn sich Fortuna Ehrenfeld irgendwo bedient, wird nicht gemogelt oder feige kaschiert, sondern frank und frei zitiert. Dazu stehen, das fällt leicht. Denn es kommt keine Kopie heraus, sondern ein völlig eigenständiges Lied in einer anderen Umlaufbahn. Deshalb wird auch Tom Waits nicht einschreiten, wenn Martin Bechler in dessen typischer Intonation singt: „Heave away boys, heave away“, gefolgt von einem launigen „der liebe Gott hat sonntags frei“.

 

Ist das alles nicht viel zu viel auf einmal? Definitiv. Aber das gilt ja auch für das, was uns das echte Universum täglich zumutet und erbarmungslos auf uns einstürzen lässt.

„Und die Frage an den DJ bleibt wohl immer gleich/
Hast du einen Song für uns, der einfach alles hier zerfetzt?“
aus: „Nudeln mit Tomatensoße“

Schwächen? Ja, die gibt es. Vielleicht eine Handvoll der 31 Stücke halten der Erwartung nicht stand, oberflächlich betrachtet zumindest. So wie beim „Universum Prolog“, der hier – natürlich – nicht am Anfang der Platte steht, wie der Name es verlangt, sondern an vorletzter Stelle der Liedersammlung. Der Prolog beginnt als typischer Bechler-Monolog. Und gerade in dem Moment, in dem man für sich einen Haken dahinter machen will, nach dem Motto „na ja, ok“ – da bläst die kleine Band zu einem brachial aufgemischten Bluesrocksolo-Halali, das sich gewaschen hat. Song gerettet, weiter geht’s.


Ob Filmsoundtrack, New-Wave-Klassiker, Quatschpop oder wummernde Tanzhymne: Das Gesangbuch für die treuen Fanseelen von Fortuna Ehrenfeld füllt sich dank „Universum“ gleich um mehrere Kapitel.

 

Offener denn je ist allerdings, wie lange noch. Denn in die Freude über die neue Liedersammlung träufelte Martin Bechler wenige Tage vor dem Veröffentlichungstermin die bittere Erklärung, dass die anstehende Tour im Herbst die vorläufig letzte der Band sein werde.

Was das für ein Bandprojekt heißt, das jahrelang vor allem über seine Liveauftritte gewachsen ist, muss sich zeigen. Dass Martin Bechler weniger produktiv sein wird, muss man wohl nicht befürchten. Die nächste Kladde für seine fein säuberlich notierten Liedideen liegt mit Sicherheit schon längst bereit. Die Frage ist nur: Was könnte nach dem allumfassenden Universum überhaupt noch kommen?


Fortuna Ehrenfeld: „Universum“ (tonproduktion records)